Wie mit dem Kol­le­gen klar­kom­men? — Selbst­hil­fe in Kon­flik­ten I

Hin und wider gibt es im beruf­li­chen Leben Situa­tio­nen, die für Sie selbst ein­fach des­we­gen kon­flikt­ge­la­den sind, weil Sie mit bestimm­ten Eigen­schaf­ten Ihres Gegen­übers nicht klar kom­men. Sie kön­nen Ihr Gegen­über aber auch nicht abwäh­len.
Haben Sie ein­mal einen Vor­ge­setz­ten gehabt, mit dem es Ihnen so ging? Was tun, wenn nicht kün­di­gen oder gegen stärks­ten eige­nen Wider­stand Mund hal­ten, kuschen und „sach­lich blei­ben“?
Ver­su­chen Sie fol­gen­des: Las­sen Sie das, womit Sie Mühe haben, einst­wei­len wie eine Neben­sa­che bestehen, ohne sich all­zu sehr dar­auf ein­zu­schie­ßen. Soweit das eben geht. Das Ent­schei­den­de ist, Ihr Gegen­über über das hin­aus ken­nen zu ler­nen, womit Sie nicht klar kom­men.
Was an Ihrem Gegen­über gibt es noch, was nicht ganz in Ihr bis­he­ri­ges Bild passt? Was haben Sie mög­li­cher­wei­se über­se­hen, viel­leicht aus­ge­blen­det, was mit dem nega­ti­ven Haupt­ein­druck, den Sie gewon­nen haben, nicht über­ein­stimmt? Kön­nen Sie, wenn Sie auf­merk­sam sind, etwas an Ihrem Gegen­über ent­de­cken, was Sie nicht auf­regt, hoch­ge­hen lässt oder sonst­wie nega­tiv emo­tio­nal berührt? Gehen Sie noch einen Schritt wei­ter: Kön­nen Sie an ihm etwas bemer­ken, was Sie mög­li­cher­wei­se sogar inter­es­siert, was Sie auf­merk­sam wer­den lässt, was Sie viel­leicht fas­zi­niert? Oder was zumin­dest Ihr Inter­es­se ganz in Anspruch nimmt?
Das soll­te mög­lich sein. Und zwar in jedem Fall. Wenn Sie zunächst nichts ent­de­cken, ver­su­chen Sie es wei­ter. Stei­gern Sie Ihre Auf­merk­sam­keit. Sie wer­den etwas fin­den! Wenn Sie soweit sind, wid­men Sie Tei­le der Zeit, die Sie mit Ihrem Gegen­über ver­brin­gen und in der Sie nicht per­sön­lich mit unge­teil­ter Auf­merk­sam­keit mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren, Ihrer neu­en Ent­de­ckung. Beob­ach­ten Sie sorg­fäl­tig und aus­führ­lich, was Sie bemerkt haben und womit Sie sich mit neu­tra­lem bis posi­ti­vem Inter­es­se ver­bin­den kön­nen. Wenn Sie dies häu­fi­ger und immer wie­der tun, wer­den Sie fest­stel­len, dass Sie mit den zuvor beherr­schen­den nega­ti­ven Ein­drü­cken immer bes­ser umge­hen kön­nen. Der neue Ein­druck, den Sie bewusst gesucht haben, bil­det ein wirk­sa­mes Gegen­ge­wicht gegen den nega­ti­ven Ein­druck, der sich Ihnen spon­tan auf­ge­drängt hat und viel­leicht immer wie­der neu auf­drängt. Er ver­schwin­det nicht plötz­lich. Der posi­ti­ve Ein­druck rela­ti­viert jedoch den nega­ti­ven. Und die Tat­sa­che, dass Sie den einen Ein­druck bewusst und aktiv gesucht haben, der ande­re hin­ge­gen sich ohne ihr Zutun in ihr Bewusst­sein gedrängt hat, ver­stärkt die­se Rela­ti­vie­rung. Was heißt das? Die Macht des ers­ten Ein­drucks nimmt ab im Ver­hält­nis zur wach­sen­den Macht des zwei­ten Ein­drucks. Sie ent­de­cken, dass Sie zuneh­mend sou­ve­rä­ner wer­den im Ver­hält­nis zu jenem Ein­druck, der Sie ursprüng­lich fast völ­lig in sei­ner Gewalt hat­te. Sie gewin­nen Abstand, Hand­lungs­fä­hig­keit und einen kla­ren Kopf.
Auf die­se Wei­se lässt sich durch eige­nes akti­ves Zutun Kon­flikt­po­ten­ti­al abbau­en, das wir bei uns selbst bemerken.

Ein eige­nes Beispiel

Die ers­te Bege­ben­heit, die mir selbst die Mög­lich­kei­ten des Geschil­der­ten vor Augen führ­te, ist fol­gen­de. Ich mach­te die Bekannt­schaft eines Men­schen, des­sen Reden über die Welt ich bei­lei­be nicht ertra­gen konn­te. Wie war es mög­lich, so über Mensch und Welt zu spre­chen: her­ab­las­send, arro­gant, bes­ser­wis­se­risch, schein­bar im Besitz des abso­lu­ten Bewusst­seins, selbst einer über­le­ge­nen und im Besit­ze der Wahr­heit befind­li­chen Spe­zi­es anzu­ge­hö­ren?! In mir bro­del­te es. Ich hielt die­se Über­heb­lich­keit nicht aus.
Damals nahm ich mir vor: Suche etwas an die­sem Men­schen, das dich in dem glei­chen Aus­maß mit Inter­es­se an ihm erfüllt, wie Dich sei­ne Rede in Abscheu und inne­ren Wider­spruch treibt. Es war nicht leicht. Erst ein­mal muss­te ich davon weg­kom­men, wie gebannt zu sein von dem­je­ni­gen, was mich mit tiefs­tem Wider­wil­len erfüll­te. Doch schließ­lich erwies sich mei­ne Bemü­hung als über­ra­schend leicht. Gleich­sam ganz benach­bart zu dem Spre­chen des Betref­fen­den lag etwas, was mir ech­tes Inter­es­se abge­wann, mich regel­recht zu fas­zi­nie­ren begann und dem ich mich von nun an aktiv zuwand­te, wenn ich mit ihm zusam­men­traf. Es waren die Bewe­gun­gen der Arme, Hän­de und Fin­ger, mit denen er sich beim Spre­chen beglei­te­te. Mei­ne Auf­merk­sam­keit blieb irgend­wann an sei­nen Arm­be­we­gun­gen hän­gen, wur­de dann wie in einer Art inne­ren Fol­ge­rich­tig­keit zu den Hän­den gelenkt und schließ­lich zu den Bewe­gun­gen der Fin­ger geführt, die jener aus­führ­te, wenn er sprach. Die­se waren flink und spitz, fili­gran, leben­dig und gera­de­zu kunst­voll, wie er da sei­ne Rede beglei­te­te. Hier hat­te ich etwas gefun­den, was mir in der Fol­ge half, ein gelas­se­ne­res und wesent­lich sou­ve­rä­ne­res Ver­hält­nis zu jenen Reden zu gewin­nen, die zunächst uner­träg­lich für mich waren. Erst spä­ter wur­de mir bewusst, wie das aktiv auf­ge­bau­te Inter­es­se die natür­lich gege­be­ne und tief sit­zen­de Abnei­gung rela­ti­vie­ren konn­te und mich dadurch ihr gegen­über frei­er wer­den ließ.

Not­hart Rohlfs